Monat: Januar 2020

Verführung

Schon immer fand ich es lächerlich, ihm zur Begrüßung die Hand zu geben. Eigentlich hätten wir wie Hunde aneinander schnuppern und direkt zur Sache kommen müssen.

Nun ist es ja so, dass das Männchen der physisch Stärkere ist, weswegen er sich dem Weibchen unterordnen muss. Ja, unterordnen. Weil wir keine Tiere, sondern kultivierte Homo Sapiens sind.

Allgemein betrachtet war er mir in allem überlegen, außer im Frausein. Also blieb uns – und damit meine ich mir – nichts anderes übrig, als ihm die Rolle der Beute zuzuteilen.

Den ganzen Abend führte ich das zivilisierte Theater fort, um ihn im für mich passenden Moment heranzuziehen. Da bringen ihm seine Muskeln dann auch nichts. In diesem Fall bin ich die Stärkere.

Es war mir egal, ob er es richtig fand. Ich küsste ihn. Es dauerte wenige Sekunden, da trug er mich ins Haus und legte mich sanft auf einem Bett ab. Er küsste meinen Hals, meine Arme, die Brüste, den Bauch, meine Beine.

Irgendwann zog er mir das Höschen runter und ich spürte seine nasse Zunge im Schritt.

Wie rabiat dieser Mann aussieht, und wie zärtlich er doch mit mir umging…

So zärtlich, ich begann zu glauben, er würde mich aufrichtig mögen. Und krallte mich nicht in ihm fest. Und begann, ihn zu mögen.

Alles, was du bist

Du bist ein Betrüger. Und es ist dir egal oder gefällt dir. Du versuchst, der Beste zu sein, der Stärkste, der Schönste. Du vergleichst dich. Dein Maßstab ist Neid. Deine Motivation Anerkennung.

Du bist kontrovers, aber du weißt es nicht. Du bist ein Frauenjäger, weil du denkst, dass du einfach so bist. Während dich eigentlich Weiblichkeit dominiert. Du denkst, du lebst in der Gegenwart, dabei berechnest du beständig die Zukunft. Wenn du nicht rechnest, fühlst du dich verloren. Sicherheit ist dein Zuhause, Vergangenheit dein Gefängnis.

Alles wiederholt sich: Routinen, Wörter, Entscheidungen. Du bist determiniert. Seit Jahrzehnten. Du meinst, deine Psyche wäre gefestigt, dabei bist du Sklave deines Horizonts. Du hast ein starkes Ego, und das macht dich stolz. Doch Geld und Seele spielen – und du bist der Ball.

Du bist gewöhnlich. Du vergisst, was du weißt. Deshalb drehst du dich im Kreis. Mit deinen Gefühlen, deinem Leben, deiner Art zu lieben.

Du liebst, was dir weh tut. Du vermisst, was dich verlässt – weil es dich verlässt. Du sehnst dich nach Unterhaltung, nicht nach Substanz.

Deine Traumfrau ist plastisch, erdacht, charakterlos. Illusionär. Dein Leben besteht aus Fantasien. Du versagst, weil du ängstlich bist. Und du wirst nie erfahren, was hinter dem bequemen Vorhang steckt. Die Sprache, die du sprichst, spricht meine Brust, mein Arsch, meine Geduld. Du willst nicht zu viel und nicht zu wenig. Sobald du Muster erkennst, wertest du ab. Als ob du nichts von dir hältst.

Und für mich? Bist du eine Fabel: schön, klug, kreativ, gut. Du bist geistvoll, männlich, berechnend und ehrenvoll. Großzügig und beseelt.

Dennoch, in meinem Gefühl für dich gibt es einen Fehler: einen Zweifel, eine Herausforderung, ein interessantes Detail, das es zu begradigen gibt:

Du bist ein sehr kurzes Gedicht, das wenig verrät und viele Geheimnisse zulässt. Wie einfach du doch eigentlich bist: Du sagst nichts; und damit sagst du so viel.

Und für dich? Bin ich schön und bequem, beizeiten auch interessant, vielleicht herausfordernd, weil provokant. Ich bin ein bisschen daneben und dann wieder so gefasst, sensibel, aber doch selbstachtend. Uninteressant, weil ich dich als Mensch schätze, egal wie du bist. Denn du möchtest bestraft werden. Weil du all das bist, wovon du nicht weißt, dass du es bist.